18.03.2015
WIMBERN / WERL. „Ich habe so etwas wie hier heute noch nicht erlebt“, erklärte Staatsanwalt Christoph Kinz im Zuge seines abschließenden Plädoyers beim Prozess gegen drei angeklagte Araber, denen vorgeworfen wurde am 23. September 2014 zwei ebenfalls in der Flüchtlingsunterkunft in Wimbern lebende Männer aus Eritrea zusammengeschlagen und mit Glasflaschen als Schlagwerkzeugen verletzt zu haben. („wickede.ruhr HEIMAT ONLINE“ berichtete.)
Vor dem Amtsgericht in Werl blieb dem Vertreter der Staatsanwaltschaft Arnsberg nichts anderes übrig als für einen Freispruch zugunsten der drei mutmaßlichen Straftäter zu plädieren. Denn die wirren und widersprüchlichen Aussagen von angeblichen Tätern und Opfern sowie eines weiteren schwarzafrikanischen Zeugen ergaben kein klares Bild für die Juristen.
Erhebliche Abweichungen bei Aussagen vor Polizei und vor Gericht
Vor allem die erheblichen Abweichungen zwischen dem Inhalt der vorliegenden Protokolle der polizeilichen Vernehmungen direkt nach der Schlägerei und den teils völlig anderen Aussagen am gestrigen Dienstag (17. Mai 2015) vor dem Werler Amtsgericht, ließen keinen Schuldspruch zu.
Wenngleich für ihn erhebliche Zweifel an der Unschuld der Angeklagten blieben, sei ihre Schuld nicht beweisbar, so Staatsanwalt Christoph Kinz.
Deshalb forderte er ebenso wie die drei Verteidiger der Angeklagten den Freispruch der vermeintlichen Straftäter, den Richterin Patricia Suttrop abschließend erwartungsgemäß verkündete.
Gegensätzliche Aussagen der Belastungszeugen
Denn die vermeintlichen Belastungszeugen verstrickten sich dermaßen in widersprüchliche und abweichende sowie teils irrige Aussagen, dass kein Licht ins Dunkel des herbstlichen Tatabends kam.
So war einerseits von einem räuberischen Überfall die Rede, bei dem es um die erpresste Herausgabe von Zigaretten ging, andererseits um einen Streit um ein schwarzafrikanisches Mädchen, welches als Zeugin aber nicht vor Gericht erschien.
Und in einer dritten Version der Angeklagten hieß es, dass man sich nur gegen die Schwarzafrikaner verteidigt habe, die mit einem abgebrochenen Teil eines Verkehrsschildes auf sie selbst eingeprügelt hätten.
Verwunderung über die Vielzahl der Versionen
Den Juristen und neutralen Prozessbeobachtern konnte man zeitweise die Verwunderung über die Vielzahl der unglaublichen Zeugenaussagen und Versionen des Tatherganges im Gesicht ablesen.
So sollte eines der Opfer – nach Zeugenaussage – angeblich bewusstlos geprügelt worden und trotzdem aufrecht stehen geblieben sein.
Recht gegensätzliche Zeugenaussagen
Als faktisch kann aus Berichterstatter-Sicht nur festgehalten werden: Es ging um Asylsuchende, Alkohol, Aggressionen und einen Angriff am Abend des 23. Septembers 2014 gegen 21.15 Uhr auf dem Weg vor dem Heilig-Geist-Kloster.
Zwei Männer aus Eritrea – 38 und 31 Jahre alt – wurden dabei wohl erheblich verletzt. Unter anderem erlitten sie blutende Kopfwunden. Einem der „Opfer“ wurde zudem ein Schneidezahn abgeschlagen – vermutlich durch einen Schlag mit einer Glasflasche.
An der Schlägerei mit gefährlicher Körperverletzung beteiligt waren neben den zwei Männern aus Eritrea auch die drei angeklagten Araber.
Wer nun wen provoziert hat und ob die Geschädigten selbst nur leicht angetrunken friedlich ihres Weges gingen oder vielleicht doch sturzbesoffen dahertorkelten und die Araber „anmachten“. – Auch dazu gab es gestern recht gegensätzliche Zeugenaussagen.
„Ich brauch’ erstmal ’ne Pause!“
Wenngleich Richterin Patricia Suttrop bei der fast sechsstündigen Hauptverhandlung am gestrigen Dienstag im Saal 9 des Amtsgerichtes immer wieder durch eindringliches Nachfragen versuchte den tatsächlichen Tathergang zu eruieren, gelang ihr dies nicht wirklich.
Denn Zeugenaussagen wie „Der Kollege hat die Wahrheit erzählt – aber einige Sachen stimmen nicht!“ trieben die Juristen schier zur Verzweifelung.
So erklärte die vorsitzende Strafrichterin schließlich entnervt im Laufe der Verhandlung: „Ich brauch’ erstmal ’ne Pause!“
Ein Zeuge und zwei parallel sprechende Dolmetscher
Wenig zur Klärung des kriminellen Sachverhaltes trug auch das babylonische Sprachengewirr bei, welches gestern im Gerichtssaal in Werl herrschte.
So machten die fremdsprachigen Zeugen, die weder der Amtssprache Deutsch noch des Englischen oder Französischen mächtig waren, zweifache Simultanübersetzungen notwendig.
Ein aus Guinea stammender Zeuge sprach beispielsweise nur „Soussou“ und die beiden vermeintlichen Opfer aus Eritrea nur „Tigrinya“. Während zwei vom Gericht bestellte und vereidigte Dolmetscher diese Sprachen ins Deutsche übersetzten, wandelte ein dritter Dolmetscher die deutschen Sätze sofort wieder für die angeklagten Araber in deren Sprache um, damit sie der Verhandlung folgen konnten.
Drei gleichzeitig redende Personen machten das Zuhören im Gerichtssaal teilweise sehr schwierig.
Richterin Patricia Suttrop bezeichnete das inhaltliche und sprachliche Durcheinander im Gerichtssaal übrigens selbst als „Kuddelmuddel“.
Angriff oder Notwehr?
Auch zwischen tatsächlichen Wahrnehmungen während der Tat, späteren Erzählungen von Dritten sowie heutigen Vermutungen wussten manche Prozessbeteiligte nicht zu unterscheiden.
So konnte einfach nicht geklärt werden, wer Aggressor und wer Schlichter, wer Opfer und wer Täter war – oder wer sich am 23. September 2014 vielleicht nur aus Angst in Notwehr verteidigte.
Haftentschädigung: Mehrere tausend Euro
Auf eine von Richterin Patricia Suttrop vorgeschlagene Einstellung des Verfahrens ohne finanzielle Entschädigung ihrer Mandanten für die „erlittene“ Untersuchungshaft ließen sich die drei Strafverteidiger übrigens nicht ein.
So werden die zwei bis gestern inhaftierten Araber jeweils knapp 5.000 Euro als Entschädigung für ihre etwa sechsmonatige Untersuchungshaft aus der Staatskasse erhalten.
Und der auf Grund einer Haftverschonung bereits nach zirka drei Monaten frei gesetzte Beschuldigte wird voraussichtlich etwa 2.500 Euro als Ersatz vom Staat bekommen.
Voraussichtlich kein Widerspruch gegen Freispruch
Die vermeintlichen Opfer – darunter der Mann mit dem
abgebrochenen Schneidezahn – können hingegen nur zivilrechtlich klagen, um
eventuell juristisch den Anspruch auf Schmerzensgeld zu erstreiten.
Staatsanwalt Christoph Kinz erklärte gegenüber „wickede.ruhr HEIMAT ONLINE“ übrigens, dass die Arnsberger Staatsanwaltschaft voraussichtlich keine Rechtsmittel gegen das Urteil mit dem Freispruch einlegen werde.
ANDREAS DUNKER für „wickede.ruhr HEIMAT ONLINE“
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